Samstag, 9. August 2014

Wetter 10.08.2014: Durch Tief Bertha schwere Gewitter

Der Langwellentrog vor den britischen Inseln stagniert nun in seiner Position, steuert aber weiterhin das Wetter über Westeuropa, indem es eine weitere Kurzwelle nach Osten lenkt. Dieses hat bereits am Vortag Kontakt mit Ex-Hurricane Bertha aufgenommen, dass als schwaches Bodentief über den Atlantik bis vor die europäischen Küsten gezogen ist und nun an der Vorderseite der Kurzwelle reintensivieren kann.
Die zweite Kurzwelle, die uns die vergangenen zwei Tagen beschäftigt hatte, liegt vor der norwegischen Nordseeküste und schwächt sich nun zunehmend ab, bevor es vor Island vom Langwellentrog vollständig assimiliert wird.

Unterhalb des Langwellentrog befindet sich ebenfalls stagnierend das korrespondierende Tief vor den britischen Inseln, dass die Randtiefs steuert und um sich kreisen lässt. Das Sturmtief Ursula wird dabei auf einen Nordwest-Kurs von der norwegischen Küste ausgehend abgedrängt und schwächt sich zusehends ab. Es ist bis zum Prognoseende vor den isländischen Küsten nur noch als Störung auszumachen.
Das Tief Bertha ist bereits vollständig als Randtief in die Großwetterlage eingebettet und zieht nun unter mäßig-starker Zyklogenese (von 995 auf unter 980 hPa) auf eine mit Ursula vergleichbare Bahn Richtung Osten, allerdings etwas nördlicher gelegen, sodass sie die britischen Inseln überquert. Danach wird es ebenfalls nord-/nordöstlich abgedrängt. Während des Prognosezeitraums wird sich Bertha zu einem Orkantief entwickeln!

Bertha besaß schon bei ihrer Atlantiküberquerung ein ausgeprägtes Frontensystem, das nun unter Verstärkung erweitert und intensiviert wird. In seinem Vorfeld jedoch wird es von einer kleinen Störung begleitet, dass ebenfalls ein Frontensystem besitzt und dessen Warmfront bereits am frühen Sonntag morgen über Deutschland schwenkt und damit für ordentlich Aufheizung und Feuchtefluss sorgt. Die assoziierte Kaltfront ist nur sehr schwach ausgeprägt und wird vermutlich nicht wetteraktiv sein, sodass mit der folgenden Warmfront von Bertha zum Abend nochmal zusätzlich Aufheizung gegeben sein sollte. Die dann zum späten Abend hereinschwenkende, stark ausgeprägte Kaltfront wird das Hauptaugenmerk für Gewitteraktivitäten bilden und vermutlich bis zum Prognoseende bis in den Osten Deutschlands gezogen sein.


   Bodendruck- und 500 hPa-Karten für 20, 23 und 2 Uhr mit Kaltluftkern über dem Atlantik.

Zunächst befindet sich ein Kälte-Pool über Westdeutschland (siehe schwach ausgeprägte Kaltfront), der ein Aufheizen verhindert. Dabei bleiben die Temperaturen zunächst unter 20 Grad. Er wird aber bis zum Nachmittag in den Nordosten Deutschlands verdrängt und unter Einfluss von Berthas Warmfront sind zum Abend verbreitet Temperaturen 27 bis 28 Grad möglich, lokal, in den typischen Regionen, können auch bis zu 32 Grad erreicht werden.

Die Taupunkte steigen im Tagesverlauf durch den stetigen Feuchtezufluss immer weiter an und erreichen am späteren Abend Spitzenwerte von 22 Grad über Niedersachsen, sonst verbreitet 18 bis 20 Grad.


 Temperatur um 16 Uhr.                                           Taupunkte um 19 Uhr.

Entsprechend stark steigen CAPE-Werte, die WRF-NMM im Vorfeld der Kaltfront verbreitet auf 1.500 bis 2.000 J/kg steigen lässt, über Niedersachsen (und an den Alpen) sogar 3.000 J/kg durchbricht. WRF-ARW ist traditionell konservativer und zeigt ein deutlich früheres Hereinfließen der Kaltfront mitsamt Entwicklungen. Daher fallen auch die Energiewerte nochmal deutlich geringer aus als sie eigentlich wären, die hier zwischen 500 und 1.000 J/kg simuliert werden. Die Wahrheit wird wohl irgendwo zwischen 1.000 und 1.500 J/kg liegen.


Pot. Energie und Lifted Index um 19 Uhr von WRF-NMM.         Pot. Energie und Windvektor um 20 Uhr von WRF-ARW. 

Die Warmfront bewirkt Einfließen von sehr feuchter Luftmasse, dessen Wassergehalt bei 12 bis 13 g/kg und ausfällbares Wasser bei 40 bis 45 mm toppt. Lapse Rates sinken etwas vor der Kaltfront und fallen von 7 auf 6 bis 6,5 Grad/km, können sich aber vor allem an den Alpen bei 7,5 bis 8 Grad/km behaupten. Die Wolkenobergrenze steigt im nördlichen Teil Deutschlands auf -30 bis -40 Grad (8.500 bis 10.000 m), im Süden sogar auf -50 bis -60 Grad (9.500 bis 11.500 m).

Durch den zunehmenden Einfluss des Druckgradients Berthas kann der Wind zum Abend durchaus schon auf 10 bis lokal sogar 15 m/s ansteigen. Es gibt Anzeichen einer vorgelagerten Bodenkonvergenz mit stark abnehmenden Winden, hierzu später mehr! 
0-6 km Scherwinde steigen wieder sehr langsam an, liegen zunächst noch bei 15 bis 20 m/s (an den Alpen auch bis zu 25 m/s), können im Verlauf der Nacht entlang der Kaltfront aber durchaus die 30 m/s erreichen. 0-1 km Scherwinde können lokal bis zu 15 m/s erreichen, bleiben aber meist eher bei um die 10 m/s. 
0-3 km Helizität ist meist bei 150 bis 200 m²/s², kann allerdings lokal signifikante Werte von 300 und mehr m²/s² annehmen. Vor allem 0-1 km Helizität nimmt verbreitet Werte über 200 m²/s² an. 
Der Superzellenparameter schlägt jedoch nur sehr leicht an, was an der Gesamtsimulation von WRF-ARW liegt. Unter anderen Umständen wäre er bei diesen Werten schon relativ hoch.


  Bodenwinde mit Windvektor um 20 Uhr.                         0-6 km Scherung um 19 Uhr.          

                      0-3 km Helizität um 20 Uhr.               Superzellenp. mit Niederschlagsreflektivität um 20 Uhr.

Sofern sich die Lage wie erwartet entwickelt, sind lineare Systeme entlang der Kaltfront denkbar, in denen Superzellen eingebettet sein können, welche ihrerseits Großhagel über 5 cm Durchmesser sowie Starkregen beisteuern würden. Ansonsten liegt der Hageldurchmesser bei maximal 2 cm. Ein großes Thema wird vor allem der Wind sein, der durchaus stürmisch anmuten kann und vor allem durch Heruntermischen sehr kräftig ausfallen wird. Schwere Sturmböen sind denkbar! 
Trotz der späten Uhrzeit ist eine ähnliche Entwicklung wie zwei Tage zuvor über Frankreich möglich, die erhebliches Unwetterpotential in sich birgt! Je nachdem, wie schnell die Kaltfront ist, sind in der Nordhälfte die ganze Nacht durch Aktivitäten auszumachen, die aber zunehmend schwächer werden.

Es muss jedoch zwingend erwähnt werden, dass sich die Modelle nicht sehr einig sind. Einige simulieren eine vor der Kaltfront liegende Konvergenz, an der in diesem Fall die Hauptaktivitäten liegen würden. Diese trifft entsprechend früher ein, unterliegt noch keinem guten Windprofil (über alle Schichten betrachtet) und würde den weiteren Aufbau von feucht-labiler Luftmasse über Deutschland unterbinden, im Gegenteil sogar durch seine Aktivitäten abbauen. Ihr würde die Kaltfront wesentlich harmloser folgen.
Grundsätzlich liegt aber auch mit der Konvergenz ein erhebliches Unwetterpotential vor, welches nur mehr von Hagel und vor allem Starkregen geprägt wäre. Stürmische Böen sind eher unwahrscheinlich, können aber nicht vollends ausgeschlossen werden. Dasselbe gilt für Superzellen. Allerdings besteht entlang der Konvergenz ein für europäische Maßstäbe vergleichsweise hohes Potential für Tornados, welche vom guten Windprofil in der untersten Schicht sowie niedriger Wolkenbasis (unter 1.000 m) profitieren können.
Trotz der Konvergenz werden auch hier die ganze Nacht durch Entwicklungen an der Kaltfront gerechnet!

Daneben sind Entwicklungen an der Warmfront im Osten denkbar, die sich allerdings nur durch Starkregen auszeichnen würden. 
Außerdem besteht ein Potential an den Alpen, das nicht außer Acht gelassen werden darf. Zwar wird dort das Wetter von Föhn dominiert, welches Entwicklungen unterdrückt, Energiewerte und Windprofil sind aber hervoragend. Sollten sich in diesem Umfeld Zellen entwickeln, sind isolierte Superzellen denkbar, die Hagel mit mindestens 6 cm Durchmesser produzieren können.


  Gesamtniederschlag in 42 Stunden bis 8 Uhr in WRF-NMM.            Gesamtniederschlag in 42 Stunden bis 8 Uhr in WRF. 

Update




Szenario 2 scheint nun wahrscheinlicher: Bereits zum Nachmittag zieht eine Konvergenz von West-Frankreich ausgehend in die Westhälfte Deutschlands ein. Sie wird mit den aktuellen Läufen der Modelle mit einem etwas besseren Windprofil gestützt und soll sich evtl. zu einem linearen Komplex entwickeln, an deren Bogensegmenten schwere Sturmböen möglich sind! Auch Tornados sind, bedingt durch die hervoragenden Winde in den unteren Schichten sowie niedriger Wolkenbasis, sehr wahrscheinlich! Einziger limitierender Faktor - vor allem für eingebettete Superzellen - ist das Energieaufgebot, welches stark von der vorliegenden Lufttemperatur abhängig ist. Vermutlich wird durch den starken Zufluss von Warmluft zum Mittag Bewölkung über Deutschland einsetzen, die die Einstrahlung und damit ein weiteres Aufheizen unterbinden würde.

Der Konvergenz wird die Kaltfront folgen, dessen Entwicklungen etwas zunächst nördlicher ansetzen und daher vor allem den Nordwesten Deutschlands betreffen, wird aber im Verlauf des Abends/der Nacht eine zusammenhängende Linie mit der Konvergenz bilden und damit auch etwas südlicher durchgreifen. Die Kaltfront zieht bis zum Prognoseende in der Nordhälfte bis an den äußersten Osten heran, schleift jedoch sehr stark in der Südhälfte, sodass es nur die nördlichen Teile Baden-Württembergs und Bayerns erreicht.


Verifikation


     Gesamtniederschlag in 24 Stunden bis 07:50 Uhr.          Gesamtzahl an Blitzen in 24 Stunden bis 07:50 Uhr.

Wie sich zeigen sollte, konnte das große Unwetterpotential über eine breite Fläche nicht abgerufen werden. Dies liegt in 3 Effekten begründet:

  1. Starke Warmluftadvektion (WLA) im Vorfeld, die zu verstärkter Wolkenbildung über Westdeutschland führte und damit modellgerechtes Aufwärmen und bündeln von Energie verhinderte
  2. Statt einer Konvergenz ergab sich eine Höhenkaltfront (kurze blaue Linie), dessen Hebungsantrieb deutlich schwächer ist:
  3. Absinkende Luftmassen (Divergenz, schwarze Linie) in direkter Umgebung der Gewitter, die eine Ausbildung einer zusammenhängenden Linie verhinderten
Bereits zum Vormittag setzte im Westen Wolkenbildung ein und die Sonne kam nur noch sporadisch durch. Nicht viel später begann mit Einzug der Höhenkaltfront Konvektion mit einsetzendem, leichten Niederschlag. So wurde bereits frühzeitig der Luftmasse viel Energie geraubt und der Boden um zum Teil 5 bis 7 Grad abgekühlt. Zwar konnte sich vor allem über Frankreich an der eigentlichen Bodenkaltfront wie an einer Perlenschnur Gewitter bilden, die hielten jedoch nicht lange durch, da sie auf ihrer Zugrichtung zunehmend in stabilere Luftmassen hereinzogen. Erst zum späten Abend waren im Nordwesten nochmal einige Entwicklungen lokal möglich, da hier nach dem Durchzug der Höhenkaltfront der Boden lang genug wieder aufgeheizt werden konnte.

Weiter südlich, über Saarland, Baden-Württemberg und vor allem über Rheinland-Pfalz/Hessen zeigten sich verstärkte Entwicklungen, die vor allem dadurch profitierten, dass hier durch verlängerte Einstrahlung (kaum Wolken im Vorfeld) der Temperaturgradient größer war und mehr Energie bereitgestellt werden konnte. Zudem sorgten Orographie zusammen mit der durchziehenden Höhenkaltfront für ausreichend Hebung. Kurzzeitig deutete sich in der Nähe von Mannheim sogar eine kleine Squall Line an, die jedoch nur wenig später wieder zerfiel, da wie in Punkt 3 erwähnt, die Divergenz immer wieder störte. Trotzdem waren hier verbreitet stürmische Böen (>62 km/h) gemessen worden, lokal, vor allem an Gebirgszügen, traten auch schwere Sturmböen (>86 km/h) auf. In der Pfalz am Weinbiet zeigte sich sogar eine Orkanböe mit 122 km/h. Dazu kamen lokal schwere Niederschläge, Seeheim-Jugenheim (Hessen) konnte an einer privaten Station immerhin eine Regenrate von 113 L/m²/h verzeichnen. Noch schwerer muss es den Taunus getroffen haben, in dieser Region stehen allerdings nahezu keine Messstationen, die darüber Aufschluss geben könnten. Berichte und zahlreiche Bilder deuten aber mindestens schwere Sturmböen, möglicherweise auch Orkanböen mit sehr hohen Niederschlagsraten an (Downburst wahrscheinlich).

Zellen aus Rheinland-Pfalz/Hessen zogen mehrere Stunden lang nordöstlich bis an die polnische Ostseeküste und blieben dabei weiterhin sehr aktiv mit häufig stürmischen Böen (Potsdammer Station immer noch 72 km/h), schwächten sich in ihrer Intensität aber zunehmend ab. Zellen aus Baden-Württemberg zogen mehr Ost-Nordost bis in Tschechien hinein und lieferten ein vergleichbares Bild mit ebenfalls stürmischen Böen (Augsburger Station 79 km/h), aber abnehmbarer Intensität. Niederschläge hielten sich hier vor allem in Alpennähe bis zum Montag Nachmittag an.
Vielerorts wurden Bäume entwurzelt/umgerissen, Dächer abgedeckt und es gab lokal Überschwemmungen, in Hessen besteht sogar ein Tornadoverdacht.

Trotz, dass es anders, aber eben nicht weniger gefährlich eingetroffen ist, als es sämtliche Modelle simuliert hatten (lineare Systeme), ist gut erkennbar, welches Potential die Lage hatte. Erstaunlich ist auch, wie deckungsgleich die Vorhersage-Niederschlagskarten der Modelle mit der Realität sind. Demnach wurde das Ereignis zwar gut im Vorfeld erfasst, aber mit anderen Voraussetzungen versehen.

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