Samstag, 4. Juli 2015

Wetter 05.07.2015: Schwere Unwetterlage durch Kaltfront


Gültig von: 05.07.2015, 08:00 MESZ bis 06.07.2015, 08:00 MESZ
Erstellt am: 04.07.2015, 21:20 MESZ

Einschätzung

Kategorie High - für Teile Bremens, Niedersachsens, Hamburg, Sachsen-Anhalts, Nordrhein-Westfalens

Kategorie Moderate - das High umschließend inklusive Teile Schleswig-Holsteins, Mecklenburg-Vorpommerns, Brandenburgs, Berlins, Thüringens, Hessen, Rheinland-Pfalz'

Kategorie Slight - das Moderate umschließend inklusive Teile Sachsens

Thunderstorms - das Slight umschließend inklusive Teile Saarlands, Bayerns

Zusammenfassung

Es besteht hohes Potential für sehr starken Niederschlag, Hagel bis 7 cm, flächendeckend gefährliche Böen um 100 km/h sowie Tornados.

Synoptik

Der Sonntag wird zunächst noch von einem Rücken dominiert, der sich vom Atlantik ausgehend quer über West- und Mitteleuropa bis hoch nach Skandinavien streckt. Über dem Nordatlantik dagegen liegt ein ausgeprägter Trog, an dessen Südost-Seite eine Kurzwelle über BeNeLux/Nordwest-Deutschland schiebt, sodass diese Regionen unter den Hebungsbereich des Troges geraten.

Während unterhalb des Rückens großflächig Hochdruck etabliert ist, steuert unterhalb des Troges ein Zentraltief SIEGFRIED mehrere Randtiefs, von denen das zur Kurzwelle korrespondierende von Interesse sein wird. Dieses zieht unter Zyklogenese von Frankreich ausgehend Richtung Nordosten über BeNeLux/West- bzw. Norddeutschland und schiebt zum späten Nachmittag eine Kaltfront in genannte Regionen herein, die sich wetteraktiv erweisen wird.

Diskussion

Da zunächst noch verbreitet 850 hPa Temperaturen von 18 bis 22 °C vorliegen, dürften erneut fast überall die 30 °C erreicht werden, regional sollte das Thermometer auch um die 35 °C anzeigen dürfen, dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eventuelle Bewölkung nicht die Einstrahlung behindern. Auch die Taupunkte dürften vielfach um 20 °C liegen, sodass die Theta-E-Werte auf 850 hPa 60 °C und mehr erreichen. In Verbindung mit Lapse Rates von 7,5 bis 8 K scheinen daher Energiewerte von rund 2.500 J/kg oder mehr durchaus realistisch.

In Verbindung mit PVA und der zum späten Nachmittag hereinziehenden Kaltfront ist genug Hebungsantrieb vorhanden, das verbreitet mit Auslöse zu rechnen ist. Diese werden aufgrund der sich annähernden Kurzwelle mit 0-6 km Scherwinden von 20 bis 25 m/s sowie 0-3 km Helizitätswerten um die 300 m²/s² unterstützt. Damit ist von gut organisierten Zellen auszugehen, die sich wegen starker Winde in den unteren, bodennahen Schichten vor allem als MCS mit linienartigen Strukturen formieren, aber durchaus auch mit einzelnen rotierenden Systemen durchsetzt sein können.


Gefahren werden hauptsächlich bei sehr starken Niederschlägen liegen, da Mixing Ratios bei um die 14 g/kg und der Wassergehalt bei um die 50 mm liegen. Flash Floods scheinen daher, obwohl die Zuggeschwindigkeit um die 80 km/h liegen wird, sehr wahrscheinlich. Dazu ist bei derart hohen Energiewerten unterhalb von stärkeren Aufwindbereichen mit Großhagel von 3 bis 5 cm zu rechnen, mit Superzellen sogar größer möglich. Ebenfalls ein Thema wird Wind sein. Sollte sich ein zusammenhängendes System formieren, ist ein LEWP mit mehreren eingelagerten Bow Echos denkbar, welche schwere Böen bis hoch zur Sturmstärke, im Extremfall lokal sogar orkanartiger Stärke erreichen können. Dazu scheinen aufgrund der hohen Windgeschwindigkeiten in den bodennahen Schichten besonders mit eingelagerten Superzellen Tornados möglich.

Bis zum frühen Morgen wird die Kaltfront Deutschlands Nordhälfte einmal komplett überquert haben.

Verifikation

Niederschlag in 24 Stunden bis 07:50 Uhr.
Spitzenböen in 24 Stunden bis 07:50 Uhr.
Blitze in 24 Stunden bis 07:50 Uhr.

Zunächst sollte der Tag mit einem Cluster beginnen, der sich über Nordrhein-Westfalen bildete und unter Intensivierung Richtung Nordosten zog. Erst zur Mittagszeit zeigte dieser langsam abnehmende Ten- denzen. Evtl. handelte es sich dabei um die Entwicklungen, die von den Modellen schon in der Nacht erwartet worden waren. Trotz der verzögerten Auslöse sollten sich die Ge- witter als ideal für die kommenden Stunden erweisen, denn auch wenn sie der Luft viel Feuchtigkeit und die Möglichkeit zum Aufheizen nahmen, konnte an der Rück- seite wiederum Einstrahlung und Verdunstung stattfinden. Mithilfe der eh schon vor- handenen Warmluftadvektion war eine rasche Erholung der Luftmasse möglich.

Wie viel Potential in der Luftmasse steckte, konnte schließlich ab den Mittags- stunden beobachtet werden. Obwohl gerade über Nordrhein-Westfalen ein ausgedehnter Cluster hinweggezogen war, setzte ab dem Rhein erneute Auslöse ein. Dazu zeigten sich orographisch bedingt auch an mehreren Mittelgebirgen erste Gewitter, von der besonders die im Harz interessant werden sollten. Dort entwickelte sich unter starker Intensivierung eine Zelle, die in einen Left- und Rightmover aufsplittete und dann rasch das Gebirge entlang wanderte, bis jedoch die flacher werdende Orographie nicht mehr aus- reichend Hebung verursachte und beide Zellen eingingen.


Im weiteren Verlauf zeigt sich ein kleines Bodentief über der Südwesthälfte Deutschlands, das nun über eine schwache Tiefdruckrinne für konvergierende Luftmassen an einer Nord-Südachse von Niedersachsen bis Rheinland-Pfalz reichend sorgt. Erstaunlich an dieser Entwicklung war, dass zwar das Bodentief als solches von den Modellen simuliert wurde, nicht jedoch eine Konvergenzlinie, die stark genug sein würde, um die Luftmassen in die Höhe zu treiben. Als Konsequenz entwickelte sich schließlich bis zum Abend eine breite Gewitterfront, mit der vielfach Hagel bis 3 cm, sehr starke Niederschlage von über 60 mm/h sowie mehrere 10.000 Blitze/h gemessen wurden. 

Obwohl der Komplex noch nicht durch kräftige Windgeschwindigkeiten in den unteren Luftschichten unterstützt wurde und selbst noch recht langsam voranschreitete, kamen beachtliche Böen von bis zu 96 km/h zustande. Dies sollte einmal mehr die Brisanz der Lage zeigen, denn mit der Kaltfront, die diese Unterstützung in peto hatte, wären demnach noch deutlich höhere Windgeschwindigkeiten drin. Wie sich später zeigen wird, sollte es dazu nicht mehr kommen.


Zunächst richten wir unser Hauptaugenmerk jedoch auf den äußersten Osten Belgiens bzw. Nordrhein-Westfalens. Nach einigen Modellen sollten im Vorfeld der Kaltfront iso- lierte Zellentwicklungen unter idealen dynamischen Be- dingungen stattfinden, sodass eine rasche Intensivierungen hin zu Superzellen zu erwarten war. Diese Erwartungen trafen dann auch in der Form ein, dass sich zwei Superzellen an der deutschen Grenze bildeten, von der die südlichere schließlich bis nach Kassel quer über den Westen hinweg zog. Sie produzierte dabei den an diesem Abend größten Hagel, mit bis zu 8 cm Durch- messer und konnte lokal für schwere Downbursts sorgen, bei der einige Schäden verursacht worden. Genaue Windgeschwindigkeiten sind nicht bekannt, sie dürften aber nach den veröffentlichten Videos und Fotos zu urteilen bei mindestens Orkanstärke (>119 km/h) gelegen haben.


Da sowohl über der Mitte, als auch dem Osten Deutschlands maximale Einstrahlung möglich war und sich hier Temperaturen in den 38ern oder 39ern bewegten (Kitzingen im nördlichen Bayern gar 40,3 °C mit einem Allzeitrekord) und hier noch im kleineren Umfang ausreichend Warmluftadvektion stattfinden konnte, baute die Konvergenzlinie zunehmend südlich an und bekam als Multi-Zellen-System (MCS) immer mehr Eigendynamik mit eingelagerten Bogensegmenten, die bspw. über Braunschweig mit über 100 km/h hinwegzogen und dem Komplex eine sich immer mehr einkringelnde Struktur gaben. Hier wurden denn auch mit der heranziehenden Böenfront die höchsten Windgeschwindigkeiten des Tages mit 102 km/h am Braunschweiger Flughafen gemessen (nicht auf der obigen Karte eingezeichnet).

An der Grenze zu BeNeLux zog derweil die Kaltfront, die erste Zellentwicklung zeigte und insbesondere über Niedersachsen eine geschlossene Linie bildete. Ihr vorgelagert war dazu eine Zelle, die vom niederländischen Gröningen bis Wilhelmshaven zog und auf ihrem Kurs nahe Wiesmoor einen Tornado produzierte. Diese Zelle schwächte sich dann allerdings schnell ab, bevor sie von der Kaltfront eingeholt und verschluckt wurde. Da sich die Konvergenz jedoch in einen massiven Komplex entwickelt hatte und ihr die Kaltfront zu rasch folgte, blieb ihr kaum noch Energie um zu der Front heranzuwachsen wie sie in der Prognose erwartet worden war.

In der letzten Sequenz soll noch einmal der südliche Anbau der Konvergenz über dem Norden Bayerns und Thüringens gezeigt werden, bevor sie sich unter Abschwächung Richtung Polen/Tschechien verab- schiedete. Schön zu sehen ist auch die sehr schwache Ausprägung der Kaltfront in ihrem Rücken, die im Norden teilweise ganz an Energie verlor.

Insgesamt eine berechtigte Kategorie High-Markierung, wenn auch evtl. eine weitere Ausrichtung hin zum Osten, wenigstens aber dem Thüringer Wald notwendig gewesen wäre. Der Verlauf des Tages zeigte zudem eindrucksvoll, dass bei einer vollen Ausprägung der Kaltfront, wie sie von den Modellen erwartet worden war, eines der schwersten Unwetterlagen der letzten Jahre passiert wäre. So kamen wir alle halbwegs glimpflich davon.

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